Themenheft zu geschlechtsstereotypen Einstellungen zu Fächern und Berufen veröffentlicht
Anlässlich des internationales Frauentags am 8. März zieht die Karl-Franzens-Universität Graz Bilanz: Im Jahr 2014 waren 34,8 Prozent der Führungspositionen auf der Leitungsebene der der Uni Graz mit Frauen besetzt; 30,6 Prozent an weiblichen Führungskräften zeichnen für die Leitung von Instituten, Zentren und Abteilungen verantwortlich. Von den rund 4.100 MitarbeiterInnen sind 52 Prozent weiblich. Zudem verweist die Broschüre „Zahlen, Fakten, Analysen“ der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien, Frauenforschung und Frauenförderung der Uni Graz auf 67 Prozent Absolventinnen, 64 Prozent weibliche Erstsemestrige, 48 Prozent Assistentinnen und 29 Prozent habilitierte Frauen, die die Chancengleichheit an der Uni Graz greifbar machen.
„Als eine der größten Arbeitgeberinnen und wesentliche Forschungs- und Bildungseinrichtung der Steiermark sieht es die Karl-Franzens-Universität als ihre selbstverständliche Aufgabe an, ein frauenfreundliches Umfeld zu gewährleisten“, unterstreicht Renate Dworczak, Vizerektorin für Personal, Personalentwicklung und Gleichstellung. „Eine wissenschaftliche Karriere verfolgen und dabei Arbeit, Familie und Privatleben bestmöglich miteinander vereinbaren: Das setzt gezielte Gleichstellungspolitik voraus und erfordert einen effektiven Maßnahmenkatalog.“ Leitungspositionen oder wissenschaftliche Karrieren: Gerade Frauen brauchen auf ihrem Bildungsweg bereits sehr früh Unterstützung, um diese Wünsche verwirklichen zu können. Das bestätigt auch Dr. Barbara Hey, Leiterin der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien, Frauenforschung und Frauenförderung. „Mädchen – aber auch Buben – erfahren vielerorts geschlechterstereotype Zuweisungen, aus denen sie aber durch gezielte Förderung auch ausbrechen können“, so die Expertin.
Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem sozialen Umfeld zu, weiß Dr. Silke Luttenberger vom Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie: „Jugendliche orientieren sich stark an den Eltern, nahen Verwandten oder FreundInnen.“ Dabei können intrinsische Neigungen verstärkt oder auch neue Vorlieben geweckt werden, erklärt Luttenberger: „Wenn Mama oder Papa Trockeneis aus dem Labor mitbringen und das Kind damit experimentieren lassen, kann das das Interesse für Naturwissenschaften im Allgemeinen fördern.“ Tatsächlich fand die Psychologin gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ertl von der Donau-Universität Krems im Rahmen eines EU-Projekts heraus, dass über 50 Prozent der 567 von ihr befragten MINT-Studentinnen nahe Familienangehörige haben, die in den Naturwissenschaften oder in technischen Bereichen tätig sind. Obwohl diese jungen Frauen in den allermeisten Fällen fest von ihrer Studienwahl überzeugt sind und sich nur selten davon abbringen lassen, haben sie doch immer wieder mit geschlechterspezifischen Vorurteilen zu kämpfen, weiß Luttenberger. Stereotype Berufswahlen finden sich auf allen Ebenen des Bildungswesens, erklärt die Psychologin: „In Polytechnischen Schulen entscheiden sich rund 50 Prozent der Mädchen entscheiden sich für eine Ausbildung zur Friseurin, Büro- oder Einzelhandelskauffrau. Die Mehrzahl der Burschen orientiert sich an handwerklich-technischen Bereichen.“
Wie diese geschlechterstereotypen Einstellungen zu Berufen beziehungsweise Fächern entstehen, wie man sie verändern kann und welche Rolle dabei Kommunikation und Interaktion in Schulen und Organisationen spielen, hat Silke Luttenberger mit Univ.-Prof. Dipl.-Psych. Dr. Manuela Paechter von der Uni Graz sowie Bernhard Ertl aus Krems und Prof. Dr. Ia Aptarashvili aus Georgien kürzlich in einem Themenheft des Springer-Verlags publiziert. Die ForscherInnen kamen darin zu dem Schluss, dass das Wissen über berufliche Möglichkeiten möglichst früh, interaktiv und sehr breit vermittelt werden muss und nehmen dabei vor allem die Schulen in die Pflicht, ihrem diesbezüglichen Auftrag stärker nachzukommen. Vor allem in Gymnasien herrsche hier vermehrt Aufholbedarf: „Schulische Berufsorientierung ist zwar in den Unterricht eingebettet, aber es bleibt den LehrerInnen selbst überlassen, wie intensiv sie dem nachkommen. Dass es in Österreich keine gezielte Ausbildung für diesen Bereich gibt, wird seitens der OECD ohnehin bereits bekrittelt.“ Neue Mittelschulen und Polytechnische Schulen würden den Berufsorientierungsauftrag konkreter wahrnehmen, so Luttenberger.
Auch Betriebe und Organisationen sollten über länger dauernde Mentoring-Programme stärker in den bildungsspezifischen Entwicklungsprozess von Jugendlichen eingebunden werden, fordert die Wissenschafterin. So manche Anreizsysteme, Mädchen und junge Frauen für Naturwissenschaften und Technik zu begeistern, wie etwa die „Girls Day“-Schiene, sind für Luttenberger dagegen zu kurzfristig gegriffen: „Interessen entwickeln sich langsam und die Faszination an ‚untypischen‘ Fächern entsteht viel früher als im Teenager-Alter. Zudem erhalten jene Mädchen, die an diesen Programmen teilnehmen, meist ohnehin Ermutigung von zuhause, nicht unbedingt ein ‚klassisches weibliches Fach‘ zu wählen.“
Das Themenheft „Geschlechtsstereotype Einstellungen zu Fächern und Berufen – die Rolle der Kommunikation und Interaktion“ ist im Dezember 2014 in der Zeitschrift „Gruppendynamik und Organisationsberatung“ des Springer-Verlags erschienen.
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