Frau Professorin Aigner, Sie sind ausgebildete Pastoralpsychologin. Hat Ihre wissenschaftliche Tätigkeit Sie in ihrem ersten Jahr als Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKGL) an der Uni Graz beeinflusst?
Tatsächlich war ich in dieser ersten Zeit sehr froh über meinen Hintergrund als Theologin beziehungsweise als Pastoralpsychologin. Der Vorsitz des Arbeitskreises ist eine sehr bereichernde, aber auch eine herausfordernde Position, die einem mitunter viel Emotionsarbeit abverlangt. Als Anlauf- und Schlichtungsstelle ist es auch unsere Aufgabe, zu vermitteln – und zwar vor allem dort, wo es sehr verschiedene Auffassungen gibt. Da war es für mich persönlich hilfreich, auf mein Wissen aus der Pastoralpsychologie – die ja Bereiche wie Individualseelsorge, Supervision und Sozialberatung mit theologischen Inhalten in Beziehung setzt – zurückgreifen zu können.
Können Sie ein Beispiel für die Arbeit des AKGL nennen? Wo besteht denn Bedarf an Vermittlung?
Auffallend war für mich, dass einige Angehörige der Universität uns auf Titel von Vorträgen oder Lehrveranstaltungen aufmerksam gemacht haben, die sich am Rande der politischen Korrektheit bewegen oder zumindest sprachliche Sensibilität vermissen lassen. Ausdrücke wie „Asylanten“ sind – selbst wenn man sie in Anführungsstriche setzt oder damit bewusst provozieren möchte – abwertende Formulierungen, die auch vom Gesetzgeber vermieden werden. In solchen Fällen suchen wir das Gespräch mit den Verantwortlichen und weisen sie darauf hin, dass sie mit solchen Begriffen verletzen oder irritieren.
Als Gegenargument kann man die Lehrfreiheit zitieren. Außerdem schaffen Lehrveranstaltungen und Vorlesungen doch auch den Raum, um Titel – seien sie bewusst provokant gewählt oder nicht – kritisch zu hinterfragen?
Natürlich gibt es – zu Recht – die Freiheit der akademischen Lehre. Uns ist bewusst, wie schmal der Grat ist, auf dem wir uns bewegen. Andererseits nimmt nicht jede/r, der/die Veranstaltungstitel auf Plakaten oder Flyern sieht, auch an der dazugehörigen Vorlesung teil. Der Reflektionsprozess bleibt daher einer recht überschaubaren Personengruppe vorbehalten. Allgemein betrachtet bleibt deshalb aus meiner Sicht ein missverständlicher Eindruck zurück, der auch die Uni Graz in ein schiefes Licht rücken könnte. Ich denke, hier wird unbedacht mit reißerischen Formulierungen umgegangen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, im Sinne der guten wissenschaftlichen Praxis auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Ethisch sauber zu arbeiten bedeutet ja nicht nur, die Zitierregeln zu beachten.
Warum, glauben Sie, kommen plakative Ausdrücke auch an Universitäten zum Einsatz?
Ich sehe die Ursache in einem zunehmenden Konkurrenzgedanken und Leistungsdruck. Als ForscherIn steht man im ständigen Wettbewerb – bei der Einwerbung von Projektmitteln, der Publikationstätigkeit, bei Zitierungen und mittlerweile nicht selten auch bei der Präsenz in der Öffentlichkeit und in den Medien. Ich habe den Eindruck, dass viele glauben, sie müssen sich noch stärker aus dem Fenster lehnen, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten. Gleichzeitig traut sich kaum jemand mehr, Fehler einzugestehen. Der Wettbewerb in der Wissenschaft sollte aber aus meiner Sicht eigentlich ein Ansporn für alle sein, sich selbst und die eigene Leistung kritisch zu betrachten und anhand von Vorbildern zu verbessern. Ich sehe die Universität generell als einen Ort, wo man sich austauscht, voneinander lernt, wo Kreativität, Risiko und auch Mut zum Scheitern Platz haben sollten.
Sie sind nun ziemlich genau ein Jahr Vorsitzende des AKGL, zwei weitere Jahre warten mindestens noch auf Sie. Was haben Sie sich für den Rest Ihrer ersten Amtsperiode vorgenommen?
Der Arbeitskreis wird mancherorts vielleicht vorwiegend als „Kontrollorgan“ wahrgenommen. Ich möchte den AKGL stärker als Anlaufstelle positionieren, die bei Konfliktfällen in Forschung, Lehre und Verwaltung vermittelt, an die man sich – auch anonym – wenden kann, wenn man Ungleichheiten oder Diskriminierungen, in welcher Form auch immer, bemerkt. Wir sind für alle da und versuchen, unterschiedliche Sichtweisen nachzuvollziehen und in Einklang zu bringen, damit das Miteinander an unserer Universität langfristig gut funktioniert.